Arbeit und Sanctuary im Kunsthaus

Momentan ist es so unerträglich heiß und schwül, dass ich trotz Urlaub wenig Lust habe, allzu viel zu unternehmen. Trotz allerbester Vorsätze raubt mir diese Konstellation jegliche Energie. Hätte nicht die besuchende Freundin bei der Abreise etwas bei uns vergessen, wäre ich am Mittwoch sicher nicht freiwillig aus dem auch nicht mehr wirklich kühlen Haus gegangen. So habe ich mich aufs Fahrrad geschwungen und habe der Freundin das Vergessene zum Bahnhof hinterher gebracht. Und weil ich nun schon unterwegs war, habe ich auch gleich versucht Fotos für den Monatsspaziergang zu machen. Kein Spaß bei der Hitze. Das Kunsthaus lag am Weg, vor der Hitze ins klimatisierte Kunsthaus flüchten hatte letzten Sommer bereits wunderbar funktioniert. Außerdem legten Ausstellungsplakat und Mundpropaganda nahe, dass mich eine der beiden derzeitigen Ausstellungen interessieren könnte. Also habe ich endlich mal wieder meine Jahreskarte für das Universalmuseum Joanneum, dem das Kunsthaus eingegliedert ist, zum Einsatz gebracht und habe mir ein Ticket für die laufenden Ausstellungen geholt.

Jedesmal wieder irritiert bin ich davon, dass im Kunsthaus über dem Foyer zunächst der Space 02 liegt, und darüber dann Space 01. Irgendwo dazwischen und nicht über die Rollrampe erreichbar gibt es auch noch einen selten bespielten Space 03.

Also rauf auf die Rollrampe und hinauf geht’s zum Space 02. Alternativ könnte man auch eines der Stiegenhäuser nehmen. Aber es ist einfach immer wieder ein Erlebnis, langsam inmitten der Ausstellung aufzutauchen.

24/7 Arbeit zwischen Sinnstiftung und Entgrenzung

In Space 02 gibt es eine recht interessante Ausstellung zum Thema Arbeit zu sehen. Genauere Info zum Inhalt und Hintergrund der Ausstellung findet man mit dem Link auf der Webseite des Kunsthauses. Und geht es nur mir so, oder fällt euch auch auf, dass immer mehr textile Kunst den Eingang in „klassische“ Kunstausstellungen findet?

Das einzige hier gezeigte Foto der Ausstellung, das keinen textilen Bezug hat.
Sam Meech: Punchcard Economy: 8 Hours Labour, 2024

Am 14. Juni hat der Künstler Sam Meech in einer Performance einen symbolischen 8-Stunden-Arbeitstag absolviert. Und dabei vor Ort mittels Strickmaschine und Maschenkarte (Punchcard) an einem Banner gestrickt. Begleitet von Überwachungskameras. Die Länge des Banners hängt von Meechs Produktivität in diesen 8 Stunden ab. Die Ausstellung zeigt also nicht das Kunstwerk, sondern die Arbeitszeit des Künstlers. Inklusive eines Vertrags, in dem ein angemessenes Künstlerhonorar nach Fair-Pay-Richtlinien festgelegt ist. Die Performance habe ich leider verpasst, aber das Ergebnis dieser 8 Stunden Arbeit ist nach wie vor zu sehen.

Die Strickmaschine von ein bisschen näher, falls jemand wissen will mit welchem Modell gestrickt wurde.
Flankiert von Arbeitsbekleidung mit Warnelementen lasse ich mich von der Rollrampe ins nächste Geschoss befördern

Sanctuary

Wo sich das Textile sogleich unmissverständlich zeigt.

Zu Inhalt und Hintergrund der Ausstellung ist auf der Webseite des Kunsthauses folgendes zu finden: (Nachzulesen auch hier)

Was ist den Menschen heilig? Was ist ihr Recht, was ihre Pflicht? Und wo wird das sichtbar? Auf einer Spurensuche nach Bedingungen und Möglichkeiten von Übereinkunft, nach Zeichen und Orten des menschlichen Zusammenlebens öffnet die Künstlerin und Architektin Azra Akšamija im Kunsthaus Graz Schutzräume verschiedener Art. Von identitätsstiftender Kleidung im Heute und Morgen über ein individualisierbares Schutzzelt für Geflohene bis hin zum gemeinsamen Er- und Verarbeiten recycelter Textilien reichen die Arbeiten, die das Publikum in Sanctuary („Heiligtum“, „Schutzort“) an vielen Stellen beteiligen.

Die Ausstellung erforscht den Begriff des „sicheren Hafens“ und richtet den Blick auf soziale, ethische und ökologische Nachhaltigkeit. Sie stellt Fragen an die Konsumwirtschaft, an der wir teilnehmen und in der wir leben. Sie gibt uns Instrumente in die Hand, mit denen man durch unvoreingenommenes Umwidmen und produktives Aneignen selbst aktiv werden kann. Die für den Kuppelraum zusammengestellte Einzelausstellung widmet sich dabei auch dem Museum selbst, das als geschützter Rahmen und als im Echoraum der Klima- und Migrationskrisen ankernder Verhandlungsort stets in Bewegung ist.

„Meine Kunst hinterfragt, wie aus Entfremdung Empowerment werden kann.“ (Azra Akšamija, 2018)

Azra Akšamija, die Professorin und Direktorin des Art, Culture and Technology Program am MIT in Massachusetts ist und deren Werke in Ausstellungsorten wie der Biennale von Venedig und Sharjah Museums gezeigt wurden, ist in Graz schon lange gut bekannt. Mit ihrer Familie vor dem Jugoslawien-Krieg geflüchtet, wuchs die Künstlerin u. a. in Graz auf und zeigte ihre Arbeiten schon vor vielen Jahren in Institutionen wie < rotor > oder Forum Stadtpark. Ihre engagiert-sozialkritischen und partizipativen Arbeiten sowie ihr fruchtbarer Umgang mit Konstruktionen von Identität auf unterschiedlichen Ebenen führten sie mit ortsspezifischen Werken in Museen ebenso wie in Moscheen, Kirchen und Flüchtlingslager. 2018 und 2019 stellte sie im Kunsthaus Graz in der Ausstellung Glaube Liebe Hoffnung und 2019 in der Schau Kunst ⇆ Handwerk aus. Daraufhin erhielt die Künstlerin 2019 den Kunstpreis der Stadt Graz.

Nun widmet ihr das Kunsthaus Graz eine Einzelausstellung, die gleichzeitig ein Versuch ist, in mehreren Schwerpunktzonen Fragen von Eigentum, von Überlieferung versus Aneignung und Appropriation, von nachhaltigem Umgang mit teilbaren Ressourcen, von Wissenstransfer und Wert der Arbeit in Richtung schützenswerter Zukunft zu spekulieren.

Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen und lädt zur aktiven Beteiligung ein.

Ein Katalog, u. a. mit diversen Essays und Forschungsmaterialien zu den ausgestellten Projekten, wird die Ausstellung begleiten.

Flocking, 2024; Upgecycelter Filz, variable Abmessungen. Die einzelnen Elemente des Filzteppichs lassen sich zu tragbaren Hausschuhen umwandeln. Die Arbeit behandelt das Eintreten in einen sozialen oder sakralen Raum.
In Filzpatschen durch die Ausstellung. Die hier sind viel schöner als man vielorts in Museen und Schlössern zum Schutz des Bodens sieht.
Auch eine schöne Art, abgelegte Kleidung wiederzuverwenden.
Inmitten der Ausstellung befindet sich ein großer Arbeitstisch, an dem gemeinsam gewerkelt werden kann. Mittels aufgeklebter Instruktionen wird auch die Vorgehensweise der Künstlerin bei ihren diversen textilen „Sandwiches“ erklärt.
Weitere Panele für weitere Zelte.
Individualisierbares Schutzzelt für Geflohene. T-Serai, 2019; Zelt aus Textilien und Kleiderspenden, kollaborative Forschung und partizipative Textilwerkstätten, Gedicht, Sound, Fotografien.
Außenhaut aus alten Jeans und Reflektorfolie.
Bitte eintreten!
T-Serai ist ein Modell für die gemeinschaftliche Produktion von Wandteppichen aus Altkleidern, um standardisierte UNHCR-Zelte (T-Shelters) in Flüchtlingscamps individuell zu gestalten. Es wurde vom MIT Future Heritage Lab in Zusammenarbeit mit syrischen Geflüchteten für Wanderausstellungen und Workshops entwickelt und wurde mit über 400 Beteiligten realisiert. (Quelle: Ausstellungsinfo)
Sitzpoufs aus alten Jeans. Eine schöne Idee, die ich mir mal abspeichere.
Auf dem Weg zur Needle ergibt sich noch ein guter Überblick von oben auf die Ausstellung.
In der Needle selbst ist diesmal nicht allzu viel zu sehen.
Noch eine kleine Ruhepause im Foyer, bevor ich mich mit dem Fahrrad auf den schweißtreibenden Heimweg mache. Finnegan Shannon: Do you want us here or not (MMK), Bench 2, 2021; zu sehen bis 31.12.2030

Wie gut, dass ich mich in die Stadt begeben musste, hätte ich diese tolle Ausstellung sonst unter Umständen verpasst. Vielleicht sehe ich sie mir auch ein zweites Mal an, dann mit etwas mehr Muse. Hat mich doch der dunkler werdende Himmel etwas unruhig gemacht. Aber außer ein paar wenigen kaum wahrnehmbaren Tropfen beim Fahrrad aufsperren kein Regen bisher, nur brütende Hitze und Tropennächte. Trotz dunklem Himmel und entferntem Wetterleuchten jeden Abend. Wie auch immer, die Ausstellung ist sehenswert.

Edit: Ich habe mir die Ausstellung eine Woche später zusammen mit der liebsten Cousine nochmal angeschaut. Und noch genauer auf die textilen Panels geschaut. Farbzusammenstellung und textiles Recycling vom Feinsten. Es lohnt sich nochmal genauer hinzusehen.

12 Kommentare

  1. Vor allem die Recycling Hütten haben mir gefallen! Sowohl die absolut fantastischen Ergebnisse, als auch die Aufmerksamkeit auf Probleme lenkenden Ideen dahinter… bei der ganzen Ausstellung
    Von wg Jeans Upcycling gibt es glaube beim „Mondgöttin Blog“ einen selbstgenähten „Hocker“. Den wollte ich auch damals unbedingt mal machen… tja
    Liebe Grüße und hoffentlich endlich etwas Abkühlung
    Nina

    • In der Ausstellung stecken so viele Ideen, ich konnte gar nicht alles beschreiben. Und wollte auch gar nicht, schließlich soll man sich die Ausstellung ja ansehen 😉 Jeans Upcycling finde ich immer sehr ansprechend, allein, in unserem Haushalt gibt es keine ikonischen Blue Jeans 😉
      Die letzten beiden Abende immer in der Ferne Wetterleuchten, jedesmal sind die Gewitter an uns vorbei gezogen. Und man weiß nicht, ob man froh sein soll oder nicht. Keine Schäden durch Starkregen und Hagel, aber auch keine Abkühlung. „Normale“ Gewitter und Regen scheint es nicht mehr zu geben…
      Liebe Grüße, heike

  2. Liebe Heike,
    so vielen Dank fürs Mitnehmen in diese Ausstellungen. Ja, spannend, dass textile Kunst endlich eine grössere Rolle in Museen zu spielen beginnt.
    Ich komme auch immer von solchen Ausflügen zurück und habe mir ganz viele Ideen „abgespeichert“.
    Was ich eigentlich schreiben wollte: Ich habe die vielen Bilder gemocht. Ich habe keine realistische Chance, die beiden Ausstellungen in Graz zu erleben (obwohl Deine Stadt auf dem Wunschzettel für Reisen steht, klappt es ganz sicher dieses Jahr nicht mehr) und kann so doch ein bisschen teilhaben!
    Das hat mir jetzt gerade ein bisschen die Augen geöffnet – ich habe nämlich selbst gerade einen Post in der Pipeline und war gerade am Überlegen, ob es vielleicht nicht doch zu viele Bilder sind.
    Fazit: Sind es nicht, weil viele meiner Leserinnen kaum Gelegenheit haben dürften an den Neuenburger See zu fahren und die, die das tun können, immer noch genügend Neues zu entdecken haben.
    So und jetzt mal ans Werk, damit das auch was wird mit dem Post!
    Liebe Grüsse, Stefanie.

    • Ich habe ja regelmäßig mit der Bildauswahl zu kämpfen, weil ich immer wahnsinnig viele Bilder mache. Und dann für den Blogpost jedesmal die Qual der Wahl und letzten Endes immer sehr viele Bilder habe. Die Ausstellungsmacher sind vermutlich weniger begeistert als diejenigen die wegen der Entfernung die Ausstellung dann eben nur im Netz betrachten können. Insofern ist dein Argument natürlich stichhaltig. Und hinsichtlich Post in der Pipeline, ich hinke auch mit dem Zeigen von besuchten Ausstellungen hinterher. Bis dahin dass die Quilttriennale in St. Gallen vom letzten Jahr und die Triennale in Szombately von 2021 immer noch auf ihren Auftritt warten. Und ich weiß nun, dass ich demnächst mal wieder bei dir schauen sollte 😉
      Liebe Grüße, heike

  3. Die Arbeiten von Azra Aksamija gefallen mir sehr. Herzlichen Dank, dass Du uns virtuell in die Ausstellung mitgenommen hast. Nehme ich auch so war, dass Textiles und Mode zunehmend die klassischen Ausstellungshäuser erobert. Lieben Gruß Manuela

    • Der Aufstieg vom Kunsthandwerk zur Kunst. Und das ist nicht nur sarkastisch gemeint. Zeit wird es jedenfalls, dass Kunst nicht nur hauptsächlich über (hauptsächlich von Männern hergestellte) Malerei und Skulptur definiert wird. Diese Ausstellung ist ein schönes Beispiel dafür.
      Liebe Grüße, heike

  4. die kunst von azra aksamija finde ich äußerst spannend und die idee das textilen upcyclings gefällt mir eh. die idee aus einem teppich filzlatschen zu machen (und so schöne!) ist ebenso genial wie das schutzzelt für geflüchtete aus genannten materialien, die sonst weggeworfen werden. und eben nicht nur in grau, sondern in freundlichen farben, die den oftmals traumatisierten menschen vielleicht wenigstens ein klitzekleines bisschen lebensfreude geben können. als gemeinschaftsprojekt ist es noch dazu eine wunderbare aktion, um dem nichtstun-können zu entfliehen.
    wie schon so oft sage ich: schade, dass graz so weit weg von mir ist!
    liebe grüße von mano

    • Ich war heute mit meiner Cousine nochmal in der Ausstellung, und ich habe noch viel mehr Details entdeckt. So viele Ideen, so schön umgesetzt. Ein paar Beschreibungen werde ich noch ergänzen, da habe ich heute nochmal genauer nachgelesen. Damit diejenigen, die nicht nach Graz kommen können, wie du z.B., zumindest ein bisschen was davon haben.
      Liebe Grüße, heike

  5. Das Museum und die Ausstellungen sehen sehr interessant aus. Schön daß du uns soviele Bilder zeigst, frau kann leider nicht jede spannende Ausstellung selber besuchen.
    Hier in München werden gerne Modeausstellungen, also Haute Couture, entworfen von Männern, gezeigt. Ansonsten ist das Textile in den bekannten Museen nicht sehr vertreten.

    • Bin ich froh, dass die Reaktion auf die vielen Fotos bisher durchwegs positiv war. Letztes Wochenende waren wir eine tolle Textilausstellung in Szombathely. Da wird auch noch ein Beitrag folgen. Hoffentlich zeitnah.
      Liebe Grüße, heike

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