So ziemlich jeder Grazer kennt sie. Wenn auch vielleicht nicht persönlich durch einen Besuch, aber er/sie/es hat zumindest schon mal davon gehört. Auch international ist sie durchaus bekannt. Nicht nur in architekturaffinen Kreisen. Die Terrassenhaussiedlung im Grazer Stadtteil St. Peter. Und seit Freunde dort wohnen, sind wir auch des öfteren dort zu Besuch. Beim letzten Besuch ergab sich mal wieder ein Spaziergang durch die Anlage. Im Hinterkopf Kristinas tolle Idee mit dem Monatsspaziergang, habe ich fleißig fotografiert und nehme euch so mit auf den Spaziergang.
„Die Terrassenhaussiedlung in Graz-St. Peter stellt eine international bekannte Ikone der brutalistischen, strukturalistischen und partizipativen Wohnbauarchitektur der Nachkriegsmoderne dar. Von der Werkgruppe Graz 1965 geplant und von 1972 bis 1978 errichtet, entstand sie in Zeiten des Aufbruchs und der Neuorientierung. Ein vielfältiges, verdichtetes System mit Dachgärten und Terrassen für jede Wohnung lieferte einen Gegenentwurf sowohl zur voranschreitenden Zersiedelung durch Einfamilienhäuser als auch zum monotonen Massenwohnbau der Nachkriegszeit.“ (Text von hier)
Auf einem ehemaligen Industriegebiet, einer alten Ziegelei mit ausgedehnten, nach dem Krieg mit Bauschutt aufgefüllten Lehmgruben, wurde diese von der Werkgruppe Graz ohne Auftrag durch einen Bauträger ab 1965 geplante „Pioniertat partizipatorischen Bauens“ schließlich von der Steiermärkischen Landesregierung als „Demonstrativbauvorhaben“ von 1972 bis 1978 realisiert. Übrigens führte dieser Erfolg auch zum von 1980 bis 1992 durchgeführten Wohnbauprogramm des Modells Steiermark. (Quelle: Architekturführer Graz, S.410/411. Info, Schnitte und Fotos auch hier).
Die Terrassenhaussiedlung im Grazer Stadtteil St. Peter mit derzeit etwa 1.100 Bewohnern in mehr als 520 Wohneinheiten ist die größte zusammenhängende Wohnsiedlung der Steiermark. Mit über 800 Eigentümern ist sie außerdem die größte EigentümerInnen-Verwaltungseinheit Österreichs (Sonte, s.u.). Bereits in der Planungsphase wurde durch die Architekten ein Mitbestimmungsprozess in Gang gesetzt (es wurde sogar ein eigenes Beratungsbüro eingerichtet), der mit einer Interessensgemeinschaft der Bewohner und der 2017/18 durchgeführten „Sondierungsstudie Smarte Modernisierung der Terrassenhaussiedlung (Sonte)“ bis heute fortgeführt wird. Dies scheint auch zu einer recht hohen Identifikation der Bewohner mit ihrer Siedlung geführt zu haben, selbst die einen oder anderen Bewohner der ersten Stunde oder der nächsten und übernächsten Generation gibt es noch.
Aus dem Architekturführer Graz stammt auch nebenstehender Übersichtsplan. Der ist leider wirklich winzig. Einen weiteren Lageplan und ein paar historische Fotos der Bauphase findet, wer Interesse hat, hier. Links die Hauptzufahrt von der St.-Peter-Hauptstraße, rechts eine weitere Zufahrt zur Tiefgarage und die Straßenbahntrasse.
Seit 2020 ist ein Unterschutzstellungsverfahren durch das Bundesdenkmalamt im Gange, das von einigen Bewohnern durchaus auch kontrovers diskutiert wird. Auch in den Medien war das Thema mehrmals (verlinke ich nicht, da Paywall der Lokalzeitung). Und jetzt kommen endlich Fotos, damit ihr euch selbst ein Bild machen könnt.
und noch ein paar Details…
Das war mein kleiner Spaziergang durch die Terrassenhaussiedlung. Es gäbe noch so viel mehr zu sagen, zu Materialien, Details (die tollen Kippfenster z.B.), etc. Aber da dies hier kein Architektur-Blog ist (auch wenn meine Profession hin und wieder durchschimmert), sondern eigentlich ein Näh-, Handarbeits- und Hobby-Blog, beschränke ich mich auf das bereits genannte. Und verlinke zu Kristina Schaper, die an jedem 3. Sonntag des Monats Spaziergänge sammelt. Ein Fotospaziergang an einem beliebigen Tag des Monats, mit 5-25 Fotos, von der Hunderunde, im Urlaub, was auch immer. Gerne auch zu einem bestimmten Thema, wie z.B. bestimmte Details oder Architektur. Na, da passt mein Spaziergang ja perfekt. Fotografiert habe ich, wie immer in den letzten Wochen, mit dem Handy. Die einzige Nachbearbeitung, die ich gemacht habe, war die Größe zu reduzieren.
Dies war also mein Monatsspaziergang im September 2022, die gesammelten Monatsspaziergänge findet ihr hier bei Kristina. Bis bald
auf den ersten blick kann man sich gar nicht vorstellen, dass dort über 1000 menschen wohnen! ich bin keine betonfreundin, aber mir gefallen die unterschiedlichen höhenelemente, die verwinkelungen und dass zwischen den blöcken und auf den dachterrassen viel grün ist. es sieht nach einer alternative zu den brutalobauten der 1960er bis 70er jahre aus, die in fast allen großstädten einzug hielten, wie z.b. in berlin das märkische viertel oder in hamburg steilshoop.
danke für den spannenden rundgang!
liebe grüße aus dänemark von mano
Genau als Alternative zu den großen ungegliederten Wohnblöcken war es gedacht, unter anderem. Je öfter ich dort bin, und je besser ich die Siedlung kennenlerne, umso mehr erkenne ich ihre Qualität. Das Grün macht auch viel aus. Das von Anfang an mit eingeplant und auch tatsächlich ausgeführt und nicht wie heute üblich bis auf den billigen Rasen letztlich doch eingespart wurde. Die großen Pflanztröge haben ein enormes Fassungsvermögen, Büsche und kleine Bäume sind kein Problem.
LG heike
Liebe Heike,
ein toller Beitrag! Und super Fotos! Ich habe nicht besonders viel Ahnung von Architektur, finde es aber immer sspannend, zu sehen, welche Wege in der Städteplanung gegangen werden, um möglichst vielen Menschen auf wenig Fläche ein ansprechendes, praktisches und entspanntes Mit- und Nebeneinander zu ermöglichen. Viele dieser Konzepte haben ja auch nicht funktioniert. Umso schöner, dass es hier geklappt hat! Vielleicht, weil die Architekten die zukünftigen Bewohner mit einbezogen haben?
Viele Grüße sendet Kristina
Mitbestimmungswohnbau war in der Steiermark beim Wohnbaumodell in den 70er und 80er Jahren ein großes Thema. Und du hast recht, vieles hat ja auch nicht funktioniert. Gerade so Wohnmaschinen, wo man den menschlichen Maßstab vergessen oder ignoriert hat, sind weltweit ein schlechtes Beispiel. In all ihrer Größe wurde bei der Terrassenhaussiedlung der menschliche Faktor nicht außer Acht gelassen. Und die großzügigen Gemeinschaftsflächen (die im heutigen Wohnbau, ob gefördert oder noch mehr beim freifinanzierten, bereits seit langem überwiegend eingespart werden) sowie die Freiflächen und die Begrünung tragen nochmal viel dazu bei, dass sich diese Siedlung aus der Masse heraushebt. Egal ob man Sichtbeton mag oder nicht. Architektur ist eben nicht nur umbauter Raum und Fassade. Sie nur darauf zu reduzieren ist zu kurz gedacht.
Ups, da geht es wieder mit mir durch. Deshalb jetzt nur noch vielen Dank für deinen interessierten Kommentar und für die Monatsspaziergänge sowieso
LG heike
Sieht doch einfach viel schöner aus fürs Auge und dazu ist mit den Bepflanzungen auch ein Ökologischer Gedanke verwirklicht. Hoffentlich pflegen alle Bewohner ihre Pflanzen, dass die Überbauung ein Vorzeigeprojekt bleibt.
L G Pia
Die Bepflanzung wird tatsächlich gut gepflegt, von Stauden über Büsche bis zu kleinen Bäumen ist auf den Terrassen alles vorhanden. Unsere Freunde ernten auf ihrer Terrasse übrigens mehr Gemüse als jemals im Garten davor.
Und bevor ich vor Jahren von der architektonischen Besonderheit der Siedlung wusste, kannte ich sie erstmal als die mit dem vielen Grün am Dach.
LG heike
Ein sehr interessanter Spaziergang! Das es auch anders als diese brutalen Betonklötze geht und sehr grün dazu, beweisen Deine Fotos. (Wir hab so eine Bausünde direkt vor der Nase, auch ein sozialer Brennpunkt) Das man mit Beton auch anders kann und sogar so viel Soziales und grüne Komponente bedacht hat…
Danke für einen besondere4n Spaziergang
Liebe Grüße
Nina
Beton wird inzwischen universell eingesetzt. Auch unter den Putzfassaden größerer Bauten steckt zumeist hinter der dicken Dämmschicht Beton. Es ist also nicht das Material per se, es kommt immer darauf an was man daraus macht. Gepaart mit viel Idealismus und Beharrungsvermögen kann dann auch sowas wie die Terrassenhaussiedlung entstehen.
LG heike
Das macht auch einer (mittlerweile nicht mehr ganz so) Neu-Grazerin Lust, sich die Siedlung einmal genauer anzuschauen! Ich bin zwar schon einige Male dran vorbeigefahren, habe aber nicht so genau geschaut. Jetzt weiß ich, auf was ich alles achten muss! Vielen Dank für den Tipp!
Ich bin auch lange nur dran vorbei gefahren. Bis ich mal bei einem der Fachärzte dort war. Es gibt nämlich auch ein paar Arztpraxen in der Siedlung. Nur der Nahversorger direkt in der Siedlung fehlt, dafür genug rundum. Also wenn du mal in der Ecke bist einfach mal durch die Siedlung schlendern.
LG heike
Sehr interessant die Anlage, die begrünten Terrassen finde ich total klasse. Danke für diesen spannenden Einblick.
Liebe Grüße,
Claudia