Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich bereits in Österreich verbracht. Und doch lässt sich die bayrische Sozialisation nicht verleugnen. Oder wieso muss ich unbedingt mit dem Namen der Bluse, Mia von Studio Schnittreif, und dem sattsam bekannten bayrischen Mia san Mia rumspielen? Dabei bin ich noch nicht mal im Cliché-Bayern aufgewachsen, sondern in der nordbayrischen Oberpfalz. Der weithin unbekannte Fleck, der sich da nördlich der Donau zwischen Franken und Böhmen klemmt. Hat trotzdem nichts geholfen, Mia san Mia hat sich spätestens mit den „Oberpfälzer Ausstrahlungen“ unserer Schultheatergruppe in meine Hirnwindungen eingegraben. Und verhilft mir nun immerhin zu einem launigen Einstieg in die Vorstellung eines gerne genähten Schnittes und gerne getragener Blusen.
Der Schnitt und was ich daraus genäht habe
Mia ist eine leicht kastig geschnittene Raglanbluse mit geschwungenem Saum, vorne kürzer, hinten länger. Sie sollte aus leichten, locker fallenden Stoffen genäht werden. Ich habe alle 3 meiner bisherigen Exemplare aus Viskose genäht. Seide kann ich mir aber auch gut vorstellen. Das Ergebnis ist wunderbar luftig und durch den lockeren Sitz die perfekte Bluse für heiße Sommertage. Schnell und unkompliziert genäht ist sie außerdem. Trotz Beleg am Ausschnitt. Die anderen Kanten werden nur gesäumt.
Sommerbluse ist sie außerdem, weil sie pur am besten wirkt, ohne was drüber. Für Drunterziehblusen gibt es andere Schnitte, die Mia ist keine.
Die ersten beiden Blusen nach diesem Schnitt sind 2015 entstanden. Die schwarze Viskose mit den großen weißen Punkten und der Schnitt fanden recht schnell zusammen. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich nur 1m gekauft, was sich jedoch mit einem schmalen Saum ausging. Allerdings ist die Bluse recht kurz, weshalb ich sie inzwischen mit eher höher geschnittenen Röcken wie dem gezeigten roten Leinenrock kombiniere, da ich sonst beim unbedachten Arme heben unfreiwillige Bauchblitzer zeige. Nichtsdestotrotz ist sie die meistgetragene meiner 3 Exemplare, ich mag diese großen Punkte.
Im gleichen Jahr und recht schnell nach der schwarz weiß gepunkteten Mia entstand eine weitere, wieder aus Viskose und mit Punkten im Muster. Der Stoff stammt aus der Flora Kollektion von Joel Dewberry, neben den Patchworkstoffen gab es auch ein paar Designs in Rayon. Ich habe mich für das geometrische Muster Abacus entschieden, in senfgelb mit grau und den Punkten in koralle. Und aus den gekauften 2m zunächst die Mia und aus dem verbliebenen Rest im folgenden Winter eine Pam (La Maison Victor, Jan/Feb 2016) genäht. Und obwohl ich Stoff und Design und Farbe und auch das Ergebnis sehr mag, kommt diese Mia eher selten aus dem Schrank. Tragefoto gibt es bisher auch noch keines, zumindest habe ich auf die Schnelle keines gefunden.
Die dritte Mia habe ich dann erst letztes Jahr genäht, neben dem Kleid Bella (hier verblogt) und einer weiteren Biscayne Blouse aus einem etwa 3m-Stück schwarze Viskose. Bei diesem Exemplar habe ich den ursprünglichen Schnitt um etwa 10cm verlängert, dann jedoch einen breiteren Saum gemacht, so dass die Bluse jetzt etwa 6cm länger ist als vorgesehen. Auch dieses Modell wird gerne und oft getragen, am liebsten in Kombination mit schmalen Hosen.
Da war es dann auch kein Wunder, dass sich zumindest die beiden schwarzen Mias im August in der Urlaubsgarderobe wiederfanden. Und dank der lieben Schwägerin habe ich auch perfekt dazu passende FFP2-Masken. Ich war also auch während der Zugfahrt perfekt abgestimmt gekleidet 😉
Und nein, auch in Österreich und der Schweiz besteht keine Tragepflicht von FFP2-Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln mehr. Aber wenn man auf der Reise die eine oder andere vulnerable Person besucht, nimmt man für sie gerne die Unannehmlichkeit in Kauf.
Und ich bemerke gerade, dass ich meinen Ruf als Schwarz-Liebhaberin weiter einzementiere. Was ihr hier darunter Ton-in-Ton abgestimmt in Schwarz seht, sind neben Mia Nr. 3, einer alten Kaufhose und meinen geliebten Awfully Black Atheist Shoes die übereinandergestapelten Satteldachhäuschen des Vitra Haus in Weil am Rhein. Wenn ihr mögt, könnt ihr mich jetzt noch auf einen Besuch dort und einen Spaziergang über Teile des Vitra Campus begleiten.
Vitra und der Vitra Campus
Vitra ist ein in dritter Generation familiengeführtes Unternehmen mit Firmensitz in Birsfelden bei Basel (CH). Laut eigener Aussage verfolgen sie neben der kommerziellen, der Herstellung und dem Verkauf von Einrichtungsgegenständen, auch eine kulturelle und eine ökologische Mission. Am Standort Weil am Rhein (D, gleich über die Grenze bei Basel) gibt es deshalb am Vitra Campus neben Produktionshallen auch das Vitra Design Museum mit wechselnden Ausstellungen und das Vitra Schaudepot. Und ganz viel Architektur und Design. Die meisten der Gebäude inklusive einiger Produktionshallen wurden ab den 1980er Jahren von namhaften Architekten entworfen. Nicholas Grimshaw, Frank Gehry, Tadao Ando, Sanaa, Herzog und de Meuron, um nur ein paar zu nennen. Die Bushaltestelle ist von Jasper Morrison. Und dann wäre da noch Zaha Hadid, deren Feuerwehrhaus für Vitra ihr erstes umgesetztes Bauwerk überhaupt war. Und nur kurz als Feuerwehrhaus in Betrieb. Als wir Ende August dort waren, war es gerade wegen Sanierung eingerüstet. Interessanterweise war mein erster Blick auf das Feuerwehrhaus ein ähnlicher, da es 1993 bei meinem ersten Besuch dort (im Rahmen einer Exkursion zur Möbelmesse in Mailand während des Studiums) gerade in Bau war. Seit meinem ersten Besuch hat sich einiges geändert, viele neue Gebäude und eine Gartenanlage sind dazugekommen. Aber das Vitra Design Museum von Frank Gehry gab es bereits damals.
Vitra Design Museum
Anfänglich wollte man ein Ausstellungsgebäude für die umfangreiche Möbel- und Stuhlsammlung. So habe ich es zuerst kennengelernt. Inzwischen hat man für die Sammlung ein eigenes Gebäude, das Schaudepot gebaut, und im mit 700m² nicht allzu großen Museumsgebäude finden jährlich 2 große Wechselausstellungen statt. Bei unserem Besuch haben wir uns die leider bereits am 4. September zu Ende gegangene Ausstellung „Plastik. Die Welt neu denken“ angesehen.
Neben der Entwicklung der Kunststoffe wurden auch Aspekte wie Plastik in der Medizin und anderes beleuchtet. Die Exponate waren durchwegs interessant. Und ich wurde an mein Referat in Konservierungswissenschaften erinnert. Das durfte ich nämlich über den ersten vollsynthetischen Kunststoff, Bakelit, halten. Nach 20 Jahren haben meine grauen Zellen da noch erstaunlich viel wiedererkannt *g*
Eine fein kuratierte und trotzdem eigentlich recht knappe Geschichte der Kunststoffe also. Soweit so lehrreich. Wirklich interessant wurde es dann im oberen Stockwerk. Denn plötzlich konnte man Blicke in die Zukunft erhaschen. Das war richtig interessant. Es wird bereits seit langem daran geforscht, Kunststoffe aus Erdölprodukten durch „Kunststoffe“ aus anderen Materialien zu ersetzen. Hier beschränke ich mich jetzt nur mal auf ein paar Teaser im Bereich Textilien. Zum Beispiel gibt es bereits mehrere Ansätze, Textilien aus Bananenfasern herzustellen. Bananatex, Schweizer Taschenmarke Quwistion, StartUp Texfad sind die Schlagworte dazu, falls jemand weiter forschen will. Wieder andere Ansätze mit anderen Ausgangsmaterialien sind bei Shellworks, Vivomer, Mycotex zu finden.
Gut gefallen hat mir der Ansatz, Turnschuhe zu recyceln bzw. aus einzelnen Teilen von alten Turnschuhen à la Patchwork neue zusammenzusetzen. Interessant auch die gewachsene, nahtlos maßgefertigte Kleidung aus Pilzmyzelien. Allerdings schaudert es mich jedesmal, wenn ich mir das auf der Haut vorstelle. Scheints zu blühende Phantasie oder zu viele Gruselszenen gesehen.
Ich bin gespannt, wohin die generelle Entwicklung geht.
Das Schaudepot
Das Schaudepot wurde ebenso wie das Vitra Haus von Herzog & de Meuron entworfen. Die schlichte Satteldach-Hausform ist auch hier zu finden. Die Präsentation im Erdgeschoss wird jährlich gewechselt. Dieses Jahr heißt die Installation Colour Rush und wurde von Sabine Marcelis gestaltet. Mit solchen Farbspielereien kann man mich ja immer haben.
Und taucht man dann in den Untergrund und sieht durch die verglasten Türen in die eigentlichen Depots, weiß man auch, warum die Installation oben jährlich wechselt. Da lagern Regale um Regale Design-Ikonen. Und der gesamte Nachlass von Charles und Ray Eames inklusive wiederaufgebautem Büro.
Und da Vitra ja eine Firma ist, die Möbel herstellt und verkauft, haben sie sich vor ein paar Jahren, ebenfalls von Herzog & de Meuron, das sog. Vitra Haus als Showroom und Flagshipstore entwerfen lassen. Eigentlich sind es ja mehrere Häuser, alle mit Satteldach, die nun verdreht zueinander über- und ineinandergestapelt eine schwarze Hausskulptur ergeben. Die steht nun zwischen Design Museum und Schaudepot und zeigt im Inneren die gesamte Produktpalette. Die einzelnen Schauräume werden ebenfalls regelmäßig von wechselnden Designern gestaltet.
Ich hoffe, mein kleiner Ausflug in die Welt des Designs hat euch gefallen und ihr habt bis hierher durchgehalten. Dann dürft ihr mich gerne noch zum MeMadeMittwoch begleiten und mit mir gustieren, was die anderen Nähladies heute präsentieren. Und raten, welche Mia ich heute trage.
Das ist drin:
- Schnitt/Anleitung: Frau Mia von Studio Schnittreif; Rock Modell 116 aus Burda 7/2016
- Material: Viskose Schwarz, weiß gepunktet T.O. Stoffe Graz; Schwarz Stoff&Stil; Flora Rayon Abacus Lichen und Leinen rot Tommy & Lilly Graz
- Kosten: je nach Bluse zwischen 8€ und 20€ bei Stoffverbrauch ca. 1,0m bis 1,1m
- Werkzeug: Nähmaschine, Overlock
- Arbeitszeit: je ca. 2 Stunden
Verlinkt mit:
Toll. Danke für den Spaziergang.
Gruß Mema
Gern geschehen. LG heike
Ich liebe diesen Schnitt und habe ihn schon sehr oft genäht, auch aus Jersey… LG Sarah
Ich erinnere mich da an eine dunkelblaue Version von dir. Unter anderem. Jersey ist ein interessanter Ansatz, das habe ich noch nicht probiert. Ich hätte da einen Bambusjersey…
Danke für die Inspiration. LG heike
Danke für deinen interessanten Beitrag, dass die Bestuhlung“ im Schaudepot jährlich wechselt, wusste ich garnicht, das mit der Sortierung nach Farben ist ja super, tolle Fotos, lt Anja
Danke liebe Anja. Das mit dem jährlichen Wechsel wusste ich vorher auch nicht. Und die Fotomotive sprangen eine quasi an, frau musste nur noch abdrücken 😉 LG heike
Danke für den Ausflug in das unbekannte Museum, sehr starke Fotos von Dir! Viele Grüße Tily
Danke liebe Tily 😊
Exkurse und Exkursionen mache ich immer gerne, andere teilhaben lassen auch. Bis zum nächsten Mal LG heike
Wie schön, daß Du das Blüschen von 2015 noch so gerne trägst! Das ist wirklich ein Beispiel, wie nachhaltig Selbernähen sein kann- aus einer kleinen Stoffmenge ein Lieblingsstück schaffen. Und danke fürs Mitnehmen ins Vitra-Museum, das fand ich sehr interessant!
LG Barbara
Ich war auch ganz baff, als ich für den Artikel gesehen habe, wann die ersten Fotos der Bluse entstanden sind. Und es ist immer wieder spannend, welche Nähwerke sich als Dauerbrenner entpuppen, und welche floppen oder erst nach Anlaufschwierigkeiten punkten. LG heike
Perfekter Sommerschnitt! Ich habe den Schnitt auch schon oft angeschaut aber noch nicht genäht… Danke für die interssanten Museumseinblicke.
Ich kann den Schnitt nur empfehlen
LG heike
Edel in schwarz! Bei mir ist es ja Frau Liah die rauf und runtergenäht wird… als Sommerblusentop in allen Varianten. Ich hab schon 7 genäht und eine gestrickt 😉 Außer den Raglanärmeln sind sie sehr ähnlich geschnitten, aber meine weiten Strickjacken mit Fledermausärmeln kann ich drüber ziehen.
Bei Frau Liah funktioniert es glaube ich ein bisschen besser mit Jacke drüber, die ist unter den Achseln nicht gar so kastig körperfern geschnitten wie Frau Mia. Aber auch ein sehr schöner schlichter Schnitt. Und falls dein erster Satz ein Ratetipp sein soll, dann liegst du sogar richtig, ich hatte gestern die schwarze Frau Mia an. Am Morgen mit einer weiten selbstgestrickten Weste drüber 😉
LG heike
Einfache Blusentops sind einfach perfekt für den Sommer, ich liebe derartige Blusenhirts. Solch einfache Schnittmuster wirken vor allem durch die Stoffe. Ich nähe sehr gerne nach Schnitten von schnittreif, da sie schnörkellos sind und dennoch aussagekräftig sind.
Danke für den Ausflug…
VG
Sandra
Genau, einfach drüberwerfen und man ist gut angezogen. Und genau wie du sagst, schnörkellos und dennoch besonders, das mag ich an schnittreif, weshalb sich bei mir neben Mia noch weitere Schnittmuster aus dem studio schnittreif tummeln.
LG heike
Danke, dass du uns auf diesen tollen Ausflug mitgenommen hast! Die perfekte Kulisse, um deine Mias in Szene zu setzen. Danke, dass du die Welt der Bloggerinnen mit deinen feinen Artikeln bereicherst. Liebe Grüße, Gabi
Danke liebe Gabi.
Tolle und praktische und wunderbare Blusen hast du dir da genäht.
danke auch für die schönen Einblicke ins Vitra Design Museum.
LG Miriam